Wissen
Rechtliche Möglichkeiten
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Die Istanbul-Konvention
Gewalt kommt in allen sozialen Schichten vor - egal ob arm oder reich, jung oder alt, und unabhängig davon, wo eine Person herkommt und ob sie eine Beeinträchtigung hat.
Frauen und Mädchen sind dabei besonders häufig betroffen.

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Der Europarat (das ist eine Organisation, in der 47 europäische Länder zum Schutz der Menschenrechte zusammenarbeiten) hat deshalb 2011 die „Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“ erarbeitet. Da dieser Vertrag in Istanbul unterzeichnet wurde, wird er auch „Istanbul-Konvention“ genannt.

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Dieses Abkommen soll Frauen und Mädchen vor Gewalt schützen, weil sie aufgrund ihres Geschlechts besonders häufig betroffen sind. Deshalb gibt es dafür den Begriff „geschlechtsspezifische Gewalt“.

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Frauen und Mädchen sind von unterschiedlichen Formen von Gewalt betroffen. Zum Beispiel Gewalt in engen sozialen Beziehungen, also durch den (Ex-)Partner oder (Ex-)Ehemann, sexuelle Belästigung, Genitalbeschneidung, Vergewaltigung oder Zwangsehen bis hin zum Femizid, also der Tötung von Frauen.

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Die Istanbul-Konvention ist 2014 in Kraft getreten.
In Deutschland ist sie seit 2018 geltendes Recht.

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Wie schützt die Istanbul-Konvention Mädchen und Frauen?
Die Länder sollen verschiedene Maßnahmen zum Schutz von Frauen und Mädchen vor Gewalt durchführen:
Die Gesellschaft soll auf das Thema aufmerksam gemacht und sensibilisiert werden, damit dieses Problem in das Bewusstsein der Menschen rückt.

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Betroffene Frauen und Mädchen sollen bei Einrichtungen wie Frauenhäusern und Beratungsstellen Schutz und Unterstützung durch ausgebildete Fachkräfte finden.
Das Rechtssystem soll so aufgestellt sein, dass Gesetze und Verfahren zur Aufklärung und Bestrafung von Gewalttaten führen.
Betroffene Frauen sollen durch Kontakt- und Näherungsverbote sofortigen Schutz erhalten.
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Auch im Asylverfahren sollen diese Maßnahmen gelten, sodass betroffene Frauen eigenständige Aufenthaltstitel erhalten und unabhängig vom Mann sind.
Wer kontrolliert, ob sich die Staaten an den Vertrag halten?
Die Einhaltung der Konvention wird von einer Expert:innengruppe, die sich GREVIO nennt, überwacht. Diese Gruppe überprüft und bewertet die Arbeit aller beteiligten Länder.
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Verschärftes Sexualstrafrecht
Am 7. Juli 2016 beschloss der Bundestag eine Verschärfung des § 177 StGB.

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Was das verschärfte Sexualstrafrecht ändert
Künftig gilt der Grundsatz:
"Nein heißt Nein!"
Zudem sollen Täter nach sexuellen Übergriffen auch bestraft werden können, wenn das Opfer nicht in der Lage ist, seinen Willen zu äußern oder der Täter einen Überraschungsmoment nutzt.
Dies soll an folgenden Fallbeispielen erklärt werden:
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1
Ein Mann macht von einer Frau einvernehmlich Nacktfotos. Dann bittet er sie, sich für die Aufnahmen nach vorne gegen eine Wand zu lehnen. Plötzlich dringt er unvermittelt in sie ein. Die Frau ist perplex und wehrt sich nicht. Bislang war der Mann dafür schwer zu belangen. Künftig ist das einfacher, weil der Täter nach der neuen Gesetzgebung das fehlende Einverständnis des Opfers durch die Überraschung missachtet hat.
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2
Ein Mann vollzieht mit seiner Ehefrau Analverkehr, obwohl diese das nicht will, "Nein" sagt und anfängt zu weinen. Allerdings wehrt sie sich nicht, weil sie Angst vor Schlägen hat.
Bislang konnte der Ehemann dafür straffrei ausgehen, wenn ihm nicht nachgewiesen werden konnte, dass er seine Frau bedroht hat. Mit der Gesetzesverschärfung liegt nun aber eine Straftat vor, weil der Täter gegen den erkennbaren Willen seiner Frau gehandelt hat.
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3
Ein Mann begrapscht eine Frau und fasst ihr in einer Menschenmenge an die Brust.
Bislang wurde das vom Gericht höchstens als Beleidigung gewertet. Künftig gibt es den neuen Straftatbestand der sexuellen Belästigung.
Demnach ist es verboten, einen anderen Menschen in sexuell bestimmter Weise körperlich zu berühren und dadurch zu belästigen.
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4
Während einer ausgelassenen Feier kommt es zu sexuellen Übergriffen durch eine Gruppe junger Männer. Sie fassen Frauen unter den Rock, zwischen die Beine und an die Brust.
Hier gilt nun der Tatbestand bezüglich sexueller Angriffe, die aus einer Gruppe heraus begangen wurden.
Dazu wurden auch die Regelungen im Aufenthaltsgesetz angepasst.
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Strafanzeige
Was ist zu bedenken?
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Interesse der betroffenen Person
• Möchte die betroffene Person Anzeige erstatten?
• Was erhofft sie sich von einer Anzeige?
• Können diese Erwartungen/Hoffnungen erfüllt werden?
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Mögliche Erwartungen an eine Strafanzeige:
• als betroffene Person von dem Erlebten erzählen und gehört werden
• Anerkennung des Leids
• Verurteilung der beschuldigten Person
• andere Personen vor ähnlichen Erfahrungen bewahren
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Situation der betroffenen Person
• Ein Prozess kann sehr langwierig und belastend sein - ist sich die Person darüber bewusst? Ist sie stabil genug?
• Wird die Person von ihrem Umfeld unterstützt oder muss sie den Prozess allein aushalten?
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Offizialdelikt
• Handelt es sich um ein Offizialdelikt (z.B. sexuelle Nötigung), müssen die Behörden ermitteln, sobald sie von der Tat erfahren.
• Bei einem Offizialdelikt kann eine Anzeige nicht einfach zurückgezogen werden.
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Beweislast
• Die Beweislast liegt bei der betroffenen Person, d.h. sie muss möglichst nachweisen können, dass die Tat geschehen ist
• Deshalb ist es hilfreich, wenn Beweismittel und Zeug:innen-aussagen zur Tat vorliegen
• Ohne vorliegende Beweise und Zeug:innenaussagen steht oft Aussage gegen Aussage und das Verfahren wird eingestellt (aus Mangel an Beweisen/im Zweifel für den Angeklagten)
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Nebenklagevertretung
• Ohne Nebenklage sind Betroffene im Verfahren nur Zeug:innen ohne eigene Verfahrensrechte
• Es ist deshalb möglich, beim Gericht einen Antrag auf Zulassung als Nebenklägerin zu stellen
• Die Nebenklagevertretung durch einen Anwalt/eine Anwältin ermöglicht eine aktivere Teilnahme am Gerichtsverfahren, z.B. in Form von Akteneinsicht
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Nebenklagevertretung
• Außerdem dürfen Betroffene im Rahmen der Nebenklage während des ganzen Verfahrens im Gerichtssaal anwesend sein, das dürfen "normale" Zeug:innen nicht.
• Als Nebenkläger:in können darüber hinaus Anträge (z.B. auf Ausschluss der Öffentlichkeit) gestellt und Fragen an die angeklagte Person sowie Zeug:innen gerichtet werden usw.
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Psychosoziale Prozessbegleitung
• Es besteht die Möglichkeit, zur Unterstützung während des Gerichtsverfahrens eine psychosoziale Prozessbegleitung zu beantragen
• Die psychosoziale Prozessbegleitung kann auf das Verfahren vorbereiten, indem sie z.B. die gängigen Abläufe bei Gericht erklärt
• Die psychosoziale Prozessbegleitung soll Betroffene stabilisierend unterstützen und bei individuellen Belastungen zur Seite stehen
• Weitere Informationen gibt es in der entsprechenden Broschüre
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Finanzielle Unterstützung
• Es besteht die Möglichkeit, abhängig vom Einkommen, Prozesskostenhilfe zu beantragen
• Für die anwaltliche Erstberatung bietet der Weisse Ring einen Beratungsscheck an
• Antrag Opferentschädigungsgesetz
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Außerdem zu beachten:
• Strafmündigkeit der Tatperson
• Verjährungsfristen bei länger zurückliegenden Taten
• Zeugnisverweigerungsrecht (nach §52 StPO dürfen z.B. Verlobte, Ehegatten und nahe Verwandte die Aussage verweigern)
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